Corona hat uns in vielen Bereichen des Staates deutlich gemacht wo Nachholbedarf besteht – auch beim Bevölkerungsschutz. In einem digitalen Fachgespräch der Union diskutierten Fachpolitiker der CDU/CSU-Fraktion mit Experten und Vertretern der Hilfsorganisationen (u.a. THW und Rotes Kreuz) darüber, wie sich unser Land am besten auf den Ernstfall vorbereiten kann. Denn klar ist: Ob Cyberangriffe auf kritische Infrastrukturen, Bedrohungen durch den Klimawandel oder Pandemie-Gefahr: Deutschland muss auf Krisen rasch, flexibel und einheitlich reagieren können.
Allerdings gibt es bisher keine schnell aktivierbaren gemeinsamen Bund-Länder-Kommunal-Krisenstäbe. Generell werden Notstände zumindest auf Bundesebene zu wenig geübt, weshalb es an Automatismen mangelt, auf die man im Bedarfsfall schnell zugreifen könnte. Beim Fachgespräch – dem Auftakt zur Gesprächsreihe „Modernisierung des Staates“ der CDU/CSU-Bundestagsfraktion – drehte sich alles um die Frage, wie sich das Krisenmanagement in Deutschland am effizientesten erneuern lässt. Mit dabei war auch Bundestagsabgeordnete Andrea Lindholz in ihrer Funktion als Vorsitzende des Ausschusses für Inneres und Heimat.
Zur Eröffnung erklärte Ralph Brinkhaus, Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, er sei zutiefst davon überzeugt, dass wir die Corona-Krise nutzen sollten, um grundlegende Gewissheiten des Staates zu hinterfragen – darunter fielen natürlich interne Verwaltungsabläufe, aber auch die Überlegung, wie wir generell mit Krisen und Katastrophen umgehen: Welche Mechanismen brauchen wir dafür?
Brinkhaus betonte, dass unser Land hervorragende Einrichtungen mit exzellenten Angestellten besäße, aber „gute Menschen brauchen auch den richtigen Rahmen“. In den vergangenen 70 Jahren sei Deutschland auf den Verteidigungsfall vorbereitet gewesen, die nächste große Krise aber werde eine zivile Herausforderung sein – eine andere Pandemie oder ein Klimafolgeereignis –, „und darauf sind wir noch nicht optimal eingestellt“. Eines aber sei klar, schloss der Fraktionschef: „Wenn wir diese Pandemie nicht nutzen und einfach in den Normalzustand zurückfallen, wäre das träge – und das können wir uns nicht leisten. Wir müssen agil bleiben.
Mathias Middelberg, Vorsitzender der Arbeitsgruppe Innen und Heimat, leitete die anschließende Diskussion mit hochkarätigen Experten. Zunächst fragte er Andrea Lindholz, die Vorsitzende des Innenausschusses, ob die Parlamente ausreichend in die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung eingebunden seien. Lindholz verwies auf die Bedeutung des vom Bundestag beschlossenen Infektionsschutzgesetzes, warf jedoch die Frage auf, ob man für den Katastrophenfall ein Notparlament benötige. Sie forderte zudem eine bessere Vorbereitung der Bevölkerung und verlieh ihrer Hoffnung Ausdruck, dass die Bürgerinnen und Bürger nach der Pandemie für diesen Gedanken empfänglicher sein werden.
Gefragt nach seinen obersten Prioritäten, verwies Armin Schuster, der Präsident des BBK, auf den gesundheitlichen Bevölkerungsschutz. Zudem strebe er eine Balance zwischen polizeilicher und nicht-polizeilicher Gefahrenabwehr an. Schuster mahnte zudem, dass zahlreiche Behörden noch nicht „Szenarien-orientiert“ arbeiten – das müsse sich schnell ändern.
Auch der Präsident des THW Gerd Friedsam stellte klar, dass „das Gesamtsystem der Gefahrenabwehr durchaus durchhaltefähig ist“ – auch in der Pandemie seien alle Hilfsorganisationen „unentwegt im Einsatz“. Aber es gelte, das integrierte Krisenmanagement zu verbessern, und zwar unter dem Gesichtspunkt: Wie arbeiten wir horizontal zusammen? Hier hat sich in der Pandemie offenbart, dass Deutschland zwar festgelegte Verfahrensweisen aufweise, diese aber nicht durchgängig anwende.
Mit Christian Reuter war auch ein Vertreter des Deutschen Roten Kreuzes unter den zugeschalteten Gästen. Er verwies auf die „Friedensdividende“ der Jahre nach Ende des Kalten Krieges, die dazu verleitet hatte, Systematiken und Basics abzubauen, die uns heute fehlten. Das habe bereits die Flüchtlingskrise 2015/16 gezeigt, als man Behelfsbetten aus Kanada einfliegen lassen musste. Reuter forderte, „in Technik, Ausstattung und Vorhaltung zu investieren“.
Am Ende fasste Marian Wendt, Vorsitzender des Petitionsausschusses, als Erkenntnis aus dem Fachgespräch zusammen, dass man „regional handeln – aber zentral koordinieren“ müsse. Abschließend forderte er ein Musterbevölkerungsschutzgesetz sowie eine neue verfassungsrechtliche Grundlage für den Einsatz der Bundeswehr innerhalb Deutschlands.
Bundestagsabgeordnete Andrea Lindholz begrüßt die Pläne zur Neustrukturierung des Bevölkerungsschutzes. Mehr dazu hier.